Begleitaktionen

geborgen

 

In diesem Fall konnte das „Angstfrei-Festival“ des Theater Altmark uns einen sinnvollen und angemessenen Rahmen zur Verfügung stellen, um ein Begleit-Projekt der 20.000 Bilder-Aktion durchzuführen.

Immer wieder ergaben sich im Umfeld des Projektes Gespräche darüber, warum wir nicht auch Pflanz-Aktionen in Deutschland fördern und unterstützen würden. Meine einfachste Antwort ist, dass ich mich nicht verzetteln möchte. Und doch wollte ich auch diesbezüglich nicht ganz untätig sein.

Durch meine Arbeit als Heim- und Jugenderzieher, musste ich mich immer wieder mit Erziehungsmaßregeln des Staates gegenüber auseinandersetzen, durch welche die Jugendlichen aufgefordert wurden , sogenannte Sozialstunden abzuleisten, wenn sie sich einer Straftat schuldig gemacht hatten. Die Sozialstunden sind vom Ansatz her in der Jugendhilfe sicher ein sinnvolles Ergänzungsorgan, wen sonstige Interventionen nicht mehr greifen. Allerdings musste ich auch immer wieder feststellen, dass Jugendliche gezwungen waren, sinnentleerten Tätigkeiten nachzugehen. Die Sozialstunden sind explizit jedoch noch nicht als Strafen vom Gesetzgeber aus zu sehen. Wenn ein Jugendlicher jedoch das Handeln nicht nachvollziehen kann, wird  eine solche Ableistung von Sozialstunden auch keinen Einfluss auf seine inhaltliche biographische Entwicklung in der Zukunft haben.

Das Modell der Baumkreise folgt auch für Deutschland der Grundidee von 20.000 Bildern – 20.000 Spenden. Jugendliche und junge Erwachsene die straffällig geworden sind, pflanzen einen Baumkreis, der folgend von ihnen oder anderen Altersgenossen, z.B. einer Schule weiter betreut wird.

Da die Bäume im Moment noch gekauft werden müssen, ist das Fernziel, die Setzlinge  kleinen Baumschulen mit straffälligen Jugendlichen, oder aus der Haft entlassenen jungen Erwachsenen heran zu ziehen. Anstrebenswert wäre, ihnen nach einem Praktikum die Möglichkeit einer anschließenden Ausbildung im Bereich Baumschule oder Forst geben zu können. Ebenso denkbar ist, sie in diesem speziellen Bereich, zur Anleitung anderer Jugendlicher mit ähnlichem Hintergrund, pädagogisch weiterzubilden und anzuleiten.

Die Kooperation mit Pädagogen, Jugendämtern und Baumschulen ist angestrebt. Auf Interessenten, die mit uns die Idee weiterentwickeln wollen, freuen wir uns sehr.

Der erste Baumkreis für „geborgen“  in Stendal

Es ist noch verdammt früh und ungemütlich kalt, als die drei Jugendlichen am Bahnhof in Stendal ankommen. Sie haben keine Ahnung, was sie erwartet und werden erst lebhafter, als wir vor dem großen Tor der ehemaligen JVA anhalten. Jetzt wollen sie alles wissen, wer hier einsaß und warum, und ob sie mal rein schauen dürften. Der eine von ihnen hat gerade zehn Wochen Arrest hinter sich, der andere muss noch zwei absitzen, aber das hier ist nochmal „verschärfter“, da sind sich alle einig.

In den Jahren, in denen das Gefängnis nicht genutzt wurde, haben sich Ahornbäume auf dem Gelände ausgesät, es war geradezu von ihnen überwuchert. Jetzt retten wir die Stärksten und Größten von ihnen. Die Jugendlichen stellen sich geschickt an und graben am Ende viel mehr Bäume aus, als wir eigentlich brauchen.

Mit dem knatternden Theater-Bulli fahren wir durch die erwachende Stadt, in der über den grauen Plattenbauten der rosa Himmel steht. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. Hinter den völlig heruntergekommenen Betonbauten, erwartet man kaum schöne weitläufige Parkflächen, die den Blick auf die morgendlich dampfende Altmarklandschaft freigeben. Aber es gibt sie.

Die Stadt Stendal hat uns hier eine sogenannte Ausgleichfläche zur Verfügung gestellt. Innerhalb der SocialArtProjects wird hier in Zusammenarbeit mit dem Angst(frei)-Festival Stendal und dem Jugendheim Walsleben ein Baumkreis entstehen. Wir waren von den Betreuern der Jugendlichen vorgewarnt worden, dass es schwer werden könnte, die Jugendlichen zu motivieren. Davon ist nichts zu spüren. Im Gegenteil. Einer der Jungen gräbt sich fast hüfttief in die Erde, so dass wir das Loch erst einmal wieder auffüllen müssen, damit der Baum überirdisch gepflanzt werden kann. Die Stimmung ist gut, fast ausgelassen und die mehr und mehr vertrautere Atmosphäre erlaubt Gespräche über Vergangenes, Ängste und Träume.

Natürlich sprechen wir auch über die Symbolik unserer Aktion „geborgen“, die Bäume als Sinnbild für die Biographie jedes einzelnen, die aus den Gefängnismauern in die Freiheit gesetzt wird. Wir unterhalten uns darüber, was wohl alles passieren wird, bis die Bäume mal groß sind, ob man es wohl packt bis dahin sauber zu bleiben, oder wie viel der Baum während des nächsten Arrestes wächst. Oder während der Lehre, einer Beziehung, oder wenn man ein Kind hat. „Cool, einen Baum für ein Kind pflanzen“, sagt einer. Alle sind ein bisschen stolz auf ihren Kreis und hätten gern noch weiter gemacht. Wir gießen noch an und knattern wieder ab Richtung Angst(frei)-Festival.

Das kommende Jahr werden die Bäume von der neunten Klasse der angrenzenden Pestalozzi-Schule betreut, bevor die Stadt die Pflege übernimmt.

Für das Rock-Konzert am Abend haben wir die ganze Gruppe aus dem Jugendheim eingeladen. Unsere drei Pflanzer zeigen ihren Kollegen den Knast wie alte Hasen. Sie mussten keinen Eintritt zahlen, weil sie Festival-Teilnehmer sind. Andere Mitarbeiter haben von ihrer Aktion gehört, grüßen sie, plaudern mit ihnen, lachen ihnen zu. Sie sind stolz, zu Recht und ihre Bäume und ihr Leben sind an diesem Tag ganz unauffällig um einen besonderen Ring reicher geworden.

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