Anett Simmen lernte ich als Theatermanagerin auf der Mein Schiff 2 kennen, als ich dort für das GOP während der Fahrt durch die Canaren zwei Shows inszenierte. Nach Feierarbend kamen wir in einen guten Austausch über unsere Arbeit, der über die Zeit auf dem Schiff hinausführte.
Wenige Wochen später benötigte ich dringend Unterstützung durch eine Choreographin und konnte Anett für die Zusammenarbeit gewinnen. Damit begann eine längere Zusammenarbeit von RED, über Spirit, Toys beim GOP Variete und Viva la Diva beim PALAZZO in Berlin.
Für 20000 Bilder hatte ich von Beginn an eine Unterstützerin in Anett gefunden. Auf ihrer Russlandreise erarbeitete Anett Simmen kürzlich in einem gänzlich anderen Zusammenhang Bilder im Ural für das Projekt.
Ulrich: Anett, was hat Dich kürzlich eigentlich nach Russland geführt?
Anett: Ich habe dort eine Freundin besucht, mit der ich gemeinsam an der Palucca-Schule in Dresden studierte. Sie kommt ursprünglich aus Russland und ist 2011 wieder in ihre Heimatstadt Miass (Oblast Tscheljabinsk) im südlichen Ural gezogen und arbeitet dort als Dozentin für Choreographie und zeitgenössischen Tanz.
Ulrich: Und Du bist tatsächlich das ganze Stück mit der Bahn gefahren?
Anett: Ja, der Gedanke morgens in Berlin in den Flieger zu steigen und am Abend mitten im Ural anzukommen, erschien mir einfach nicht so interessant. Mit dem Zug konnte ich wirklich die 3.600 km erleben. Ich wollte „langsam“ ankommen und schon auf dem Weg ein Stück des Landes und der Leute kennen lernen. Und das kann man sehr gut im Zug. Mal kommt man auf dem Gang ins Gespräch, mal wird einem etwas angeboten und sofort gehört man dazu. Jeder hat einem etwas zu erzählen und mit bruchstückhaftem Russisch, mit einem Wörterbuch gewappnet und mit Händen, Gesten und lustigen pantomimischen Einlagen, erfährt man eine Menge und hat viel Spaß. Es war großartig so zu reisen. Ich genoss jeden Kilometer und fand Stück für Stück eine unglaubliche Ruhe. Es gab keine Hektik und ich konnte auch viel über mich, meine künstlerische Arbeit und Zukunftsvisionen nachdenken. Die Reise mit der Bahn dauerte von Freitagmorgen 5:00 Uhr bis Montagmorgen 10:00 Uhr. Dazu kam ein 7-stündiger Moskau-Aufenthalt. Das ist eine Menge Zeit, in der man nichts weiter vor hat, als zu reisen.
Ulrich: Aber Du hattest ja ein klares Ziel. Worum ging es bei Deinem Workshop?
Anett: Mit meiner Freundin Julia haben wir beschlossen, den Besuch von mir, mit dem Angebot von Workshops im zeitgenössischen Tanz, Kontaktimprovisation und akrobatischen Tanz zu verbinden. Wir wollten so Tänzern und Akrobaten aus dem südlichen Ural die Möglichkeit geben, für sie recht neue Stil- und Ausdrucksmöglichkeiten für Tanz-, Artistik- und Theaterproduktionen zu erfahren.
Weiterhin habe ich choreographisch an Darbietungen einer dortigen Artistenschule gearbeitet und ihnen mit künstlerischen Ideen, Informationen aus der europäischen Varietészene und als Ratgeberin zur Seite gestanden.
Sowohl der Workshop, als auch die Arbeit in der Artistenschule wurde von allen begeistert und dankbar angenommen. Ich selbst habe dabei ebenfalls viel gelernt, habe viele Inspirationen gesammelt und so bin auch ich um viele Erfahrungen reicher.
Neue Einladungen zu weiteren Einrichtungen, u.a. an die Tanzuniversität Tscheljabinsk wurden ausgesprochen und nun denke ich bereits über eine weitere Reise nach.
Ulrich: Mit was für Menschen bist Du da zusammengekommen.
Anett: Mit sehr interessanten Menschen aus den Bereichen darstellende und bildende Kunst und Menschen, welche Traditionelles mit Modernen Dingen verbinden. So konnte ich unter anderem alte slawische Webtechniken, wie das Kammweben kennenlernen, spezielle russische Kochweisen erfahren, an einer echten traditionellen Banja teilnehmen und alten russische Gesängen lauschen. Es ist erstaunlich, wie sie es geschafft haben, mit sehr einfachen Mitteln fantastische Momente zu zaubern.
Wir waren auch sehr viel in der Natur, haben gemeinsam am Feuer gekocht, gesungen, getrommelt und getanzt. Ich habe die großartige russische Gastfreundschaft erfahren dürfen und habe mit liebevollen Menschen wunderbare Wanderungen durch das Uralgebirge unternommen.
Ulrich: Was macht dort den Unterschied zur Arbeit zum Beispiel in Deutschland aus?
Anett: Improvistaion ist alles. Wenn etwas an einer Ecke fehlt wird sofort nach Alternativen gesucht. Ein Telefonat und sofort kam jemand und brachte etwas, mit dem man das gewünschte irgendwie zurechtbasteln konnte.
Es ist unglaublich anzusehen, wie sie mit wenig Mitteln tolle Projekte auf die Beine stellen.
Auch scheinbar jeder ist z.B. irgendwie in einem Kuturhaus aktiv und packt mit an. Schon die kleinsten Kinder tanzen oder singen in Ensembles und das wirkte sich natürlich auch positiv auf meine Arbeit aus. Alle gingen mit einer Offenheit in den Workshop und ließen sich auf viele „Experimente“ und auf kreative Arbeit ein.
Ulrich: Was war Dein künstlerisches Ziel?
Anett: Grundlegend bin ich erst einmal mit so wenig Erwartungen wie möglich an das Projekt gegangen. Künstlerische Ideen waren natürlich viele im Gepäck. Meine Freundin Julia erzählte mir im Vorfeld, wobei sich ihre StudentInnen „schwer“ tun und was sie gern mit Hilfe meiner Workshoparbeit ankurbeln möchte.
Primär ging es dann um die Entwicklung eines freien Ausdrucks und das sich Wegbewegen von eingefahren Dingen. Es ging ebenfalls darum, den Tänzern und Akrobaten zu vermitteln, wie sie über Kontaktimprovisation und über damit verbundene akrobatischen Figuren zu einer gemeinsamen, ausdrucksstarken Partner- oder Gruppenchoreographie gelangen.
Ulrich: Wie konntest Du die TeilnehmerInnen dafür gewinnen?
Anett: Das war recht einfach, da sich das Workshopangebot über Plakatwerbung in künstlerischen Einrichtungen, der genial funktionierenden Mund zu Mundpropaganda und dem russischen Facebook fast wie selbst ausbreite. Der Kurs war innerhalb weniger Tage übervoll und meine Teilnehmerzahlgrenze weit überschritten.
Ulrich: Welche Menschen haben denn die Bilder gemalt, die Du für das Projekt 20000 Bilder – 20000 Spenden organisiert hast.
Anett: Das waren vor allem Workshopteilnehmer, andere Interessierte und befreundete Malerinnen von Julia, die alle sehr gern kamen, um dieses Projekt zu unterstützen.
Ulrich: Worum ging es Euch inhaltlich?
Anett: Wir haben uns das Thema „Elemente“ als Basis gewählt. „Elemente“ als Urgewalt auf der einen Seite und als Metapher für psychologische und philosophische Aspekte in der Auseinandersetzung mit dem Leben auf der anderen.
Als zweite Arbeit stand das Thema „Russland“ im Raum, wo jeder seinen Blick auf dieses Land malen konnte.
Ulrich: Erzähl mal was über den Prozess
Anett: Wir haben uns alle zum Tee verabredet und dann gemeinsam die Themen gesucht. Zum Thema „Elemente“ sind wir dann erst einmal in eine Gesprächs- und Diskussionsrunde eingestiegen. Zu jedem Element wurden Aspekte, Ideen und Gedanken ausgetauscht. Diese wurden in Spalten zu den einzelnen Punkten Feuer, Wasser, Erde und Luft eingetragen. Es standen z.B. Fragen im Raum:
- „Welche Urgewalt verbinden wir mit dem Element?
- Was steht für jeden einzelnen an Kraft dahinter (erschaffen-zerstören usw.)?
- Welchen psychologischen Aspekt verbinden wir mit dem Element (z.B. Feuer – Haß oder Liebe, Wut, Harmonie oder Wahnsinn usw.)?
Dann haben wir 4 „Element“-Boxen gemacht und jeden dazu eingebrachten Gedanken auf einem Zettel in die jeweilige Box gelegt. Danach hat jeder aus jeder Box einen der Zettel gezogen und hat sich selbstständig mit diesen gesammelten Gedanken an sein Kunstwerk zum Thema „Elemente“ gesetzt. So sind 17 Bilder für das Projekt entstanden.
Auf einer Großleinwand hat dann zu einem weiteren Treffen jeder seinen Blick auf Russland gemalt. Diese Großleinwand wird nun in viele kleine 30 x 30 cm – Stücke zerschnitten und zeigt dann einen Teilaspekt dieses großen und weiten Landes mit seiner Kultur, seinen Bräuchen, seinen Bauwerken oder seiner großartigen Natur.
Ulrich: Ich danke Dir vielmals für die Unterstützung des Projektes und bitte Dich, diesen Dank auch weiterzugeben, wenn Du in nächster Zeit zu den Leuten aus dem Ural hast.
Zum Schluss ganz eigennützig für die Aktion: Glaubst Du, dass Du noch andere Möglichkeiten hast, das Projekt ein weiteres Mal in der Zukunft durch so eine Aktion wie im Ural zu unterstützen?
Anett: Bestimmt.
Ulrich: Vielen Dank, Anett.
a.simmen@bewegte-traeume.de